„Hauptsache Nerven behalten!“

Transparent mit der Aufschrift „Moin in Niedersachsen! refugees welcome" e“ "
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Transparent am Niedersächsischen Umweltministerium in Hannover, 2015

Im Interview erläutert Erwin „Pico“ Jordan, Dezernent für soziale Infrastruktur in der Region Hannover, die aktuellen Erfolge und Herausforderungen bei der Integration von Geflüchteten im Bundesland Niedersachsen. Neben der Unterbringung ist für ihn besonders die Förderung durch Deutschsprachkurse wichtig, um Geflüchtete erfolgreich zu integrieren und den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen.  

Heinrich-Böll-Stiftung: Sie sind Sozialdezernent in einer der Regionen in Deutschland, in denen sich Asylsuchende in weitaus größerer Zahl niederlassen als in anderen Regionen. Wie ist die Lage in der Region Hannover?

Erwin „Pico“ Jordan: Wir sind zweifellos eine der Region, wo besonders viele erwerbsfähige Flüchtlinge aus den acht nichteuropäischen Hauptzugangsländern ankommen. Dazu kommt, dass wir wie in allen Ballungsräumen schon länger eine angespannte Wohnungsmarktlage besonders für ärmere Menschen haben.

Und wie sieht da die Lage bei der Unterbringung und bei der Arbeitsmarktintegration aus?

Wir schaffen es nicht mehr die Leute dezentral in Wohnungen unterzubringen. Wir sind dabei Gemeinschaftsunterkünfte im größeren Stil aufzubauen. Diejenigen, die 2016 ankommen werden, werden wohl fast alle in Gemeinschaftsunterkünften, auch für längere Zeit, wohnen müssen. Die Arbeitsintegration fängt ganz langsam an, wobei es da erhebliche Probleme mit den Instrumenten gibt. Es ist zurzeit leider nicht möglich, die arbeitsintegrativen Maßnahmen mit ausreichend Sprachförderung zu verbinden und daran scheitert vieles.

Welche Herausforderungen kommen durch den starken Zuzug von Geflüchteten auf die soziale Infrastruktur der Region Hannover zu, wie reagieren Sie darauf?

Eher noch im Notfallmodus. Wir haben hier erst mal die Flüchtlingssozialarbeit verstärkt ausgebaut und wir haben jetzt auch Möglichkeiten geschaffen, uns stärker an Geflüchtete mit traumatischen Belastungen wenden zu können. Da stützen wir uns auf ein gutes regionales Netzwerk. Ansonsten bauen wir das Jobcenter aus. Da kommen 78 neue Stellen und auch Haushaltsmittel dazu. Außerdem sind wir in den Schulen und in den Kindergärten aktiv. Mittlerweile haben wir aber auch Probleme, die nötigen Fachkräfte für die einzelnen Bereiche zu finden.

 

Erwin "Pico" Jordan, Dezernent für soziale Infrastruktur in der Region Hannover

Wie nehmen Sie die "Willkommenskultur" in Ihrer Region wahr?

Abgesehen davon, dass ich mit dem Begriff Probleme habe (wer Kultur hat, heißt Flüchtlinge immer willkommen!), haben wir hier von Anfang an ein sehr großes Engagement von Ehrenamtlichen gehabt und haben das auch heute noch. Ohne dieses Engagement wäre hier die Flüchtlingshilfsarbeit schon längst zusammengebrochen. Das ist ein wesentlicher Stützpfeiler. Es gibt ganz viele Leute, die sich jeweils hier vor Ort in den verschiedensten Feldern engagieren. Zum Beispiel wird der Mangel an Sprachkursen manchmal kompensiert durch den Einsatz von Ehrenamtlichen oder die Begleitung von Flüchtlingen im Alltag. Das sind alles Dinge, die hier hervorragend geleistet werden. Und wir als Verwaltung bringen zum Ausdruck, dass wir das Gelingen wollen.

Das Motto dieses kommunalpolitischen Ratschlags lautet ja „Vom Willkommen zur Integration“. Wie gelingt dieser Schritt Ihrer Meinung nach erfolgreich?

Der kann nur gelingen, wenn wir auf der Bund- und Länderebene klare Regelungen und Definitionen eines Integrationsplanes haben. Die entscheidenden Gesetze z.B. in der Arbeitsförderung sind eher auf Verhinderung von Integration ausgerichtet. So klar sein sollte, was wir von den Flüchtlingen in Sachen Integration erwarten, so klar und verlässlich müssen wir auch die notwendigen Instrumente und Unterstützung bereitstellen. Da fehlt noch vieles!

Und wie sieht diese Unterstützung aus?

Ein Engpass ist zurzeit der ganze Bereich der Sprachförderung. Wir stellen fest, dass die Flüchtlinge ganz unterschiedliche Ausgangssituationen beim Thema Sprache haben und die Kurse, die das Bundesamt für Migration anbietet, überbürokratisiert und nicht in ausreichender Zahl vorhanden sind. Man versucht da über Länderprogramme die Lücken zu kompensieren aber am Ende müssen wir sicherstellen, dass jeder Flüchtling, der hier zu uns kommt, auch ein faires und brauchbares Angebot zur Sprachförderung bekommt. Sonst klappen alle anderen Integrationsschritte nicht.    

Die Region Hannover gilt als vorbildlich in diversen integrationspolitischen Bereichen. Was machen Sie Besonderes?

Ich weiß nicht was wir anders machen als andere. Wir schauen ja auch immer auf andere die auch Gutes machen, von daher würde ich uns jetzt nicht besonders hervorheben wollen. Wir arbeiten sehr gut mit den Städten und Gemeinden hier zusammen und arbeiten lösungsorientiert. Wir schaffen z.B. für die Städte und Gemeinden Gemeinschaftsunterkünfte, die für ein dauerhaftes Wohnen geeignet sind, die also auch Wohnqualität haben. Da versuchen wir jetzt auch flüchtlingsorientierte Betriebsmodelle zu machen. Also die Flüchtlinge gleich in den Betrieb dieser Einrichtungen mit zu integrieren und ihnen Arbeitsmöglichkeiten zu geben. Was uns so vorschwebt sind z.B. Einrichtungen in Selbstverwaltungen, nicht über teure Trägermodelle, wo die Flüchtlinge nur entmündigt werden.

Welche Tipps würden Sie aus Ihrer Erfahrung heraus anderen Kommunalpolitiker/innen zum Umgang mit der Flüchtlingssituation geben?

Nerven behalten! Das ist die Hauptsache.

Was wünschen Sie sich vom Land Niedersachsen und von der Bundesregierung, damit Sie vor Ort entlastet werden?

Ich wünsche mir von der Bundesregierung, dass sie die regionalen Jobcenter als zentrale Orte der Arbeitsintegration stärkt, dass sie bürokratische Hemmnisse abbaut bei der Verbindung von Sprache und Arbeitsintegration und das sehr schnell macht. Ich wünsche mir, dass die BAMF-Sprachkurse abgeschafft werden und auf der Länderebene das Geld zur Verfügung gestellt wird. Vom Land wünsche ich mir, dass es den ganzen Bereich Sprache, grade für Kinder und Jugendliche stärker unterstützt, damit die Integration der ganz jungen hier, in den Kindertagesstätten und in den Schulen gelingt.

Was würde es denn für Vorteile bieten, wenn die Sprachkurse des Bundesamts für Migration abgeschafft werden und das Geld den Ländern dann zur Verfügung stehen würde?

Wir haben zurzeit überhaupt kein klares Profil bei der Sprachförderung. Es gibt ganz verschiedene Angebote. Das BAMF-Angebot steht gar nicht für alle Flüchtlinge zur Verfügung und es ist bürokratisch hochkompliziert. Sie müssen sich vorstellen, dass diese Kurse z.B. aufgrund der Anforderungen oft nicht in normalen Schulräumen stattfinden können, weil die keine zwei Ausgänge haben. Das klingt banal aber diese Absurditäten ziehen sich durch die ganze BAMF-Realität. Und hier auf Länderebene das Sprachkursangebot sozusagen aus einer Hand zu stricken, die Volkshochschulen damit einzubinden und sie im Wesentlichen auch zu Trägern der Sprachförderung im Erwachsenenbereich zu machen, das halte ich für angesagt.

Das Interview führte Lara Röscheisen.